James! James Blake? Nein, James!
Es gibt sie tatsächlich noch: Bands, die äußerst bekannt sind, sogar mit Radiohead auf Tour waren, mit Brian Eno zusammengearbeitet haben – und von denen man in Deutschland trotzdem noch nie etwas gehört hat. James sind so eine Band. In England gibt es kaum jemanden, der sie nicht kennt, und auch international haben sie sich einen Namen gemacht, nur Deutschland ist irgendwie nie mit ihnen warm geworden. Dabei gibt es viele Gründe, warum sich das ändern sollte, beispielsweise das aktuelle Album La Petite Mort. Außerdem haben James in den Jahren ihrer Existenz praktisch die gesamte Entwicklung der britischen Popkultur seit den 1980er-Jahren begleitet und direkt miterlebt. Wir haben uns mit Tim Booth und Jim Glennie von James getroffen und mit ihnen eine Zeitreise durch ihre eigene Bandgeschichte gemacht.
Ihr seid unterm Strich nun schon seit 30 Jahren aktiv – trotzdem hattet ihr nie den Durchbruch in Deutschland. Erzählt doch mal … Wer seid ihr?
Tim: Wir sind Manchesters am Besten gehütetes Geheimnis (lacht). Wir haben 1982 angefangen. Wir waren erst so 15, 16 Jahre alt. 16, als ich dich getroffen habe, Jim.
Jim: Ich weiß gar nicht mehr, dann wäre ich ja 18 gewesen… Also muss das…
Tim: Alte Menschen die sich über ihr Alter unterhalten… So alt sind wir!
Jim: Oh ja!
Tim: Wir waren mit New Order auf Tour. Und The Smiths haben uns dann die beste Band der Welt genannt, und uns auch mit auf Tour genommen.
Jim: Das war sechs Wochen lang, die Meat is Murder Tour, in England. Dann haben wir zwei Alben bei Factory Records heraus gebracht, und das hat die Sache dann ins Rollen gebracht. Also, immer noch in einem eher kleinen Rahmen, im Independent-Level. Wir hatten plötzlich die Single der Woche in Musikzeitschriften, eine Session auf Radio One – es kam einfach Schwung in die Sache.
Tim: Aber wir waren anfangs einfach noch nicht bereit. […] Wir haben The Smiths gesehen, auf ihrem dritten Gig, und wir wussten: Die sind bereit. Wir haben sieben Jahre dafür gebraucht. Wir haben fünf, sechs Tage die Woche fünf Stunden lang geprobt, immer wieder improvisiert. Wir haben nicht in erster Linie versucht, Songs zu machen, sondern Spaß gehabt.
Jim: Wenn wir einen schlechten Tag hatten, haben wir auch einfach mal die Instrumente getauscht (lacht). […] Wir wollten definieren, was wir sind, was wir nicht sind. Es ging nicht darum, einen Plan auszuarbeiten, was als nächstes kommen sollte, oder wie man sich mit der Musikindustrie vernetzen könnte. Es ging nur um uns selbst. Aber wir wollten auch Konzerte spielen, denn so konnten wir das ganze Chaos in eine anhörbare Form gießen, nur um dann wieder in unsere eigene Welt abzutauchen.
Tim: Konzerte waren besonders wichtig, denn unsere Musik wurde nicht im Radio gespielt. Erst seit R.E.M.’s Losing My Religion. Seit diesem Song haben die Radiosender festgestellt, dass sie Independent mögen. […] Und dann, plötzlich, standen wir im Mittelpunkt und unsere Konzerte waren ausverkauft. Als das dann passierte, war das wie eine riesige Welle. Es hat einfach plötzlich funktioniert. Irgendwie lächerlich. Wir dachten uns nur: „Okay, jetzt geht’s los“. Nachdem wir dann in den 90ern mit Brian Eno zusammengearbeitet hatten, meinten die Leute plötzlich, wir wären fertig. Aber dann kam der Britpop. Und die Britpop-Bands meinten, dass wir ihr größter Einfluss gewesen seien. Von Blur bis Oasis. Noel Gallagher hat einmal gesagt, dass er Oasis direkt nach einem James-Konzert gegründet hat. Und daher ist dann alles nochmal von vorne los gegangen. Wir hatten dann jede Menge Erfolge, eigentlich überall bis auf Deutschland (lacht).
Was meint ihr, ist der Grund dafür?
Tim: Wir haben nicht die geringste Ahnung! Wir haben in Deutschland gespielt, Radiohead hatte uns damals supportet. Das war eigentlich die letzte richtige Tour hier. Dann hat Neil Young uns eingeladen, mit ihm hier zu spielen. Und das waren dann die letzten Konzerte. Das muss so 1995, 1996 gewesen sein. […] Wir waren der Plattenfirma hier glaube ich ein wenig zu kompliziert. Die haben uns nicht wirklich verstanden. Damals haben wir viel gesoffen und gestritten, aber das immer für uns behalten. Wir waren nicht wie Oasis, wo das an die Öffentlichkeit ging. Ich glaube, daher haben wir die Plattenfirma ein paar Mal etwas verstört.
Was ist da denn genau passiert? Habt ihr die Verhauen oder wie?
Tim: Naja, es ging schon fast in die Richtung (lacht).
Jim: Wir haben uns einfach oft untereinander gestritten. Wir haben uns betrunken, und dann gab es halt extreme Streitereien, fast Kämpfe. Wir haben einfach die Sau raus gelassen.
Tim: Und in den 90ern, als wir wirklich gute Musik mit Brian Eno gemacht haben, ging es uns einfach nicht gut. Es ging um unsere Gesundheit, Sucht, um unsere Beziehungen… Da [2001, Anm. d. Red.] bin ich dann ausgestiegen. Es war einfach zu viel. Obwohl wir da eines unserer besten Alben gemacht hatten. Ich konnte das einfach nicht mehr machen. Wir haben dann sechs Jahre lang nichts gemacht, und wir dachten wir seien komplett fertig. Aber jeder hat sich erholt, Leute haben Familien gegründet, sich entspannt, und dann waren wir wieder zusammen – bevor die anderen Bands wieder zusammen gekommen sind! Wir haben festgestellt, dass wir wieder besser miteinander kommunizieren können, dass wir wieder in einem viel besseren Zustand waren. Wir waren dankbar, haben zurückgeblickt und waren stolz auf das, was wir gemacht hatten. Seit wir wieder zusammen gekommen sind, macht es eigentlich am meisten Spaß. Es war nie besser!
Jim: Es war nicht so, dass es früher nicht auch mal gut war. Aber da war immer so viel Schmerz dabei. Das war eigentlich lächerlich, denn wir waren ja erfolgreich. Wir waren die glücklichsten Bastarde der Welt! Wir haben etwas gemacht, was wir geliebt haben, das ist ja auf jeden Fall etwas Gutes. Und wir haben das mit Füßen getreten, in dem wir uns wie Kinder aufgeführt haben.
Lasst uns über euer neues Album reden: Was macht euch wirklich stolz darauf?
Tim: Ganz generell geht es darauf ja um Tod und Wiedergeburt. Während wir an dem Album gearbeitet haben, sind zwei Menschen, dir mir wirklich nahe standen, gestorben. Deshalb sind wir da nicht daran vorbei gekommen. In zwei Songs geht es genau darum, in anderen um den Tod einer Beziehung (Gone Baby Gone), oder um einen Mann, der sich so fühlt, als sei er tot (Frozen Britain). Besonders in England ist der Tod etwas, über das man einfach nicht spricht. Daher ist La Petite Mort, was die Texte angeht, ein recht ungewöhnliches Album. […] Das ist kein depressives Album, es ist eher ein sehr positives. Wir haben nach Bildern gesucht, die eine eigene kulturelle Einstellung zu Tod transportieren. Und wir haben es La Petite Mort genannt, nicht La Grande Mort (lacht). Das bezieht sich ja auch auf Sexualität, auf etwas lebendiges. Was den Sound angeht haben wir uns mit Max Dingel zusammen getan, der auch schon mit The Killers und anderen Las Vegas-Bands, die wir großartig finden, gearbeitet hat. Er hat uns diesen Arschtritt-Sound verpasst. Max und Jim, der oft für die Riffs zuständig ist, haben dann an einem schmutzigeren, sexy Sound gearbeitet. Mark Hunter, unser Keyboarder, ist der schüchternste Mensch der Welt: Wir hören nie eine Note von dem, was er spielt, bis er es aufnimmt, weil er sonst immer so leise ist. Auf diesem Album, in jeder Probe, haben wir ihn immer lauter werden lassen.
Jim: Er ist ein Genie! Aber man hört einfach nicht, was er da tut! Normalerweise ist das ja so, dass man in einer Band immer so lächerlich laut wie möglich sein will, weil man sich dann selbst wunderbar in den Mittelpunkt stellen kann. Aber bei Mark ist das einfach das komplette Gegenteil! Manchmal ist er dann kurz laut, und dann wird er wieder leise. Das ist wirklich unglaublich. Dabei ist er wirklich großartig!
Tim: Und auf diesem Album haben wir ihn mehr in den Vordergrund gestellt. Wir haben die Songs mehr um ihn herum gebaut, also gibt es viel mehr Keyboard als sonst. Wenn man nicht weiß, wer oder was James ist, dann muss man das Video zu Moving On anschauen. Das ist ein Song über das Sterben. Und wir haben dazu das beste Video gemacht, das wir je hatten. Vielleicht, weil wir nicht darin vorkommen (lacht). Das Video zeigt, was unser Album ist. Ich glaube es ist unser bestes bisher. Die Leute sprechen wirklich gut darauf an. Vielleicht will Deutschland ja dieses Mal auch mit feiern! Denn viele andere Länder haben Spaß damit und wir würden gerne öfter her kommen!
Habt ihr eine klassische Hernagehensweise, wenn ihr an einem Album arbeitet? Ihr habt da ja früher mal mit Brian Eno zusammengearbeitet…
Jim: Als wir mit Eno gearbeitet haben, haben wir eigentlich zum ersten Mal jemandem wirklich vertraut. Früher haben wir unsere Alben immer für unsere Babies gehalten und wollten niemanden sonst an sie heran lassen. Aber mit Brian Eno ist ein Traum wahr geworden. Wir haben da viel mitgenommen. Er hat uns wirklich hart rangenommen: Wir haben einmal sechs Stunden am Sound einer einzigen Snare-Drum gesessen. Wir haben nicht geschlafen. Das war wirklich anstrengend. […] Einmal hat er Karten gebastelt und Worte darauf geschrieben. Die hat er uns dann immer einzeln gezeigt, während wir gespielt haben, und genau das mussten wir dann machen. Auf einer stand zu Beispiel „Wackeln“ oder „Andere die Tonart“. Das sollte man dann alleine machen?
Tim: Oder „Geh und setz Tee auf“!
Jim: Ja, genau!
Tim: Es ging darum, unsere eigenen Muster abzulegen. Menschen bleiben immer an Mustern und Angewohnheiten hängen. Obwohl wir gut im Improvisieren waren, war das bei uns auch so. Und er hat das gesehen und wollte es ändern. Kennst du das Buch „The Diceman“? Das solltest du lesen! Es geht um einen Mann, der sein Leben durch einen Würfel bestimmt. Er hat immer sechs Optionen, und zwei davon sind wirklich gefährlich. Und dann würfelt er. So ungefähr war das.
Tim, du hattest eine kleine Rolle in Batman Begins. Wie fühlt es sind an, in einer Band zu sein, von deren Frontmann man im Internet eine Actionfigur kaufen kann?
Jim: Ach was, das gibt’s (lacht)? Das wusste ich ja gar nicht! Finde ich super, das werde ich sofort machen (lacht)!
Tim: Er kann dann Nadeln hinein stecken… (lacht).