Mit “Booth And The Bad Angel” wird in diesen Tagen ein außergewöhnliches Projekt von zwei Künstlern, wie sie unterschiedlicher nicht sein können, veröffentlicht. Die Rede ist von Tim Booth, eher durch die Manchester-Pop Band James bekannt, und Angelo Badalamenti. Letzterer produzierte in den 50ern die Schlagersängerin Peggy March. Das ist längst vergeben und vergessen. Schließlich ist dieser Mann für die umwerfenden Soundtracks zu David Lynchs Werken wie “Blue Velvet” oder “Wild At Heart”, sowie das legendäre “Twin Peaks-Theme” verantwortlich. Helmar Giebel führte ein lange erhofftes Gespräch mit den beiden Musikern.
? : Die Musik, die ihr normalerweise macht, ist ja sehr unterschiedlich. Wie kam es zu dieser ungewöhnlichen Zusammenarbeit?
Tim : Nun, ich wurde gefragt, ob ich Lust hätte, für eine Musiksendung im englischen Fernsehen mit einem außergewöhnlichen Künstler aufzutreten. Es gibt da diese legendäre Twin Peaks-Episode, in der Julee Cruise in einem Nachtclub singt, während zeitgleich ein Mord geschieht. Obwohl diese Szene höchstens 20 Minuten dauert, gehört sie zu den faszinierendsten Momenten, die ich je im Fernsehen erlebt habe. Also wollte ich unbedingt mit Angelo Badalamenti auftreten. So haben wir zwei Welten miteinander verbunden, die sich normalerweise nicht treffen.
Angelo : Wir wußten sofort, daß wir uns prima ergänzen werden. Gleich bei unserer ersten gemeinsamen Session, nur mit Keyboard und einem kleinen Drumcomputer, machte die Arbeit ungeheuren Spaß. Tim sang sich die Seele aus dem Leib, und ich spielte, als ginge es um mein Leben. Es war alles so einfach. Ehe wir uns versahen, hatten wir 14 Songs geschrieben. Danach haben wir die Lieder ziemlich schnell im Studio eingespielt. Später dann, in England, ließ Tim Bernhard Butler (Ex-Suede) die Stücke mit Gitarre unterlegen.
Tim wollte mehr von meiner Musik in das Projekt einfließen lassen. Ich mußte ihm am Anfang sogar versprechen, daß keine Gitarren zum Einsatz kommen. Ich wiederum wollte, daß Tims Gitarrenmusik einen größeren Einfluß hat. Langsame und ruhige Musik mache ich ja nun schon 13 Jahre lang. Ich habe ihn dann so lange genervt, bis er mir zustimmte.
Tim : Ein Song wie “Life Get’s Better” z.B. wäre ohne Gitarren viel verträumter und düsterer geworden. “I Believe” war zu Anfang ein viel melodischerer und fließender Song. Dann kamen die Gitarren dazu…
Angelo :…und wir hatten einen Radiohit….(lacht)!
? : Das stimmt, “I Believe” ist das, was ich mir unter perfekter Popmusik vorstelle!
Angelo : Die Plattenfirma war sehr erleichtert, dieses Lied zu hören. Ich glaube, sie hielt es einfach nicht für möglich, daß Tim und ich etwas zustande bringen, daß schließlich auch noch Käufer finden wird.
? : Der “Bad Angel” im Albumtitel bezieht sich doch bestimmt auf Angelo?
Tim : Ja, du hast recht. In erster Linie hat es aber einen biblischen Bezug.
Angelo : Bad setzt sich aus den ersten drei Buchstaben von Badalamenti zusammen. Angelo bedeutet im Italienischen “der Engel”. Du mußt das wie bei einem guten Film auf deine eigene Art und Weise interpretieren.
? : Gibt es eine grundlegende Idee hinter den Texten des Albums?
Tim : Nein, jeder Song ist eine Geschichte für sich.
Angelo : Wir waren sehr relaxed und haben höchstens fünf Stunden pro Tag gearbeitet. Tim tanzte die meiste Zeit in meinem Büro in New York herum, und ich machte uns Tee. Wir haben also viel Spaß gehabt. Die Texte entstanden aus solchen Stimmungen heraus. Sogar “Rising”, ein Song über das Sterben, ist ein fröhliches Lied geworden.
? : “Dance Of The Bad Angels” und “Life Get’s Better” fallen besonders auf. Könnt Ihr diese Songs mal kommentieren?
Tim : Ja klar, “Dance” ist eine sonderbarer Song. Er hat keinen Refrain, die Stimme ist wie auf einer Schur aufgezogen. Angelo spielt dieses wunderschöne Keyboard im Hintergrund. (Spontan summen die beiden eine Kostprobe eben jener Melodie).
Angelo : Eine eigenartige Keyboard-Linie, die genau gegen den monotonen Baß läuft. Später haben wir noch Tims ehemalige Gesangslehrerin die Hintergrund-Vocals singen lassen.
Tim : Ich finde das wirklich gelungen, ihre facettenreiche Stimme tanzt regelrecht um meine eher statische Stimme herum. Ursprünglich war der Song über neun Minuten lang. Wir wollte gar nicht mehr aufhören zu spielen. “Life Get’s Better” ist von der Idee her ein Dialog mit mir selbst. Auf der einen Seite mein sehr kritisches und pessimistisches Ich, auf der anderen Seite meine Einstellung, alles hinter mir zu lassen und in eine neue Welt aufbrechen zu wollen. Wir haben diese zwei Rollen dann aufgeteilt.
Angelo : Ich singe natürlich die eher deprimierenden Zeilen, ganz wie es meinem Image entspricht…(lacht).
Im Video zu “I Believe” sitzt Tim in einem wunderschönen Garten mit herrlichen Blumen. Ich stehe in Manhattan auf dem Dach eines 25-stöckigen Gebäudes und spiele Herr über die Sonne, die Vögel und jegliches Leben.
? : Wird Eure Zusammenarbeit fortgesetzt? Oder ist ein Live-Auftritt in Deutschland sogar denkbar?
Angelo : Das hängt von den Plattenverkäufen ab. Wenn die Plattenfirma uns dann anspricht, werden wir gerne live spielen. Wir hoffen natürlich, daß die Plattenfirma auch unsere zukünftigen Aktivitäten sponsort. Immer wenn wir zusammen sind arbeiten wir an neuen Songs. (Sofort präsentiert er stolz die Noten für einen neuen Song, flüchtig auf eine Serviette gekritzelt). Tim fing beim Mittagessen an zu singen, und ich habe das halt schnell aufgeschrieben. Wir haben Ideen für mindestens sechs weitere Alben.
? : Was ist mit David Lynchs neuem Film “Lost Highway”? Warst Du wieder für die Musik verantwortlich, Angelo?
Angelo : Ja, wobei sich die Arbeit dazu mit den gemeinsamen Aufnahmen von Tim und mir überschnitten. So war es mir diesmal nicht möglich, den Film Minute für Minute zu zerlegen und dazu zu komponieren. David wollte mich aber unter allen Umständen wieder dabei haben. So habe ich ihm eine komplette Symphonie mit unterschiedlichen Stimmungen geschrieben. David mußte sie dann selbst auf den Film zurecht schneiden.
? : Angelo, Du bist ja für die eher dunklen Klänge à la Twin Peaks bekannt. Was hörst Du sonst für Musik?
Angelo : Nun ich liebe natürlich die dunklen, bittersüßen Klänge, für die ich bekannt bin. Ich mag aber auch Popmusik, ethnische Klänge. Eigentlich bin ich für alles offen und beschäftige mich sehr viel mit Musik aus aller Welt. Wo du gerade Twin Peaks erwähnst, es gibt ja eine Menge Geschichten um die Serie. Die schönste möchte ich dir noch zum Schluß erzählen; sie hat sich tatsächlich so zugetragen! Als ich das letzte Mal Paul McCartney traf, erzählte er mir, daß ich ihn mit meiner Musik ziemlich aus der Fassung gebracht hätte. Er sollte einmal 40 Min. Musik für einen Empfang bei der Queen komponieren. Die Queen verabschiedete sich auf diesem Empfang jedoch sehr früh von ihm. Auf seine enttäuschte Frage hin, warum sie denn nicht wenigstens noch seine Musik hören wolle, entgegnete sie nur: “Aber Mr McCartney, gleich beginnt doch Twin Peaks!”.
? : Danke für das Interview!